top of page
1000018016.jpg

Die Winterträumerei

[Arbeit in Arbeit]

Placeholder Text

Alles begann in den kalten Wintermonaten, in einem unbekannten Land, als ein Talisman ankam. Darauf waren die Worte „Mystical Talis of the Kißen“ eingraviert. Darunter befand sich eine Reihe unidentifizierter Symbole und Schriftzeichen. Niemand bei Pneuma Labs konnte sagen, was darauf stand, woher es stammte oder wie alt es war. Der Vorarbeiter des Labors nahm den Talisman an sich und beauftragte den leitenden Forscher Ketsuta und seine Assistentin, die Junior-Forscherin Veratis, damit, ihn zu untersuchen und herauszufinden, was es wirklich damit auf sich hatte.

Ketsuta ist ein Forscher, dem im Labor alle vertrauen und den alle lieben. Er hat bereits unzählige Analysen dieser Art durchgeführt und an einer geheimnisvollen Insel im Pazifischen Ozean geforscht, auf der eine antike Zivilisation mit einer unbekannten Sprache entdeckt wurde – eine Sprache, die er entziffern konnte. Veratis ist erst vor Kurzem zum Team gestoßen, hat aber bereits erhebliches Ansehen erworben: Bei eben jener Inselrecherche entdeckte sie zuvor unbekannte Tierarten, die sonst niemand fand, und durch ihre weiteren Erfolge erreichte sie die Position der Assistentin des leitenden Forschers vor Ort. Die Insel wurde später zerstört, nachdem eine unbekannte Macht jedes vorbeifahrende Schiff angriff und eine beispiellose Zahl von Menschen tötete.

Ketsuta und Veratis brachten den Talisman in ihr Labor, Raum Nummer 110010100 – dem Raum mit dem Emblem eines Feigenblatts. Ketsuta liest den Talisman noch einmal vor:
„‚Mystical Talis of the Kißen‘, und darunter steht es in derselben Sprache, die ich auf jener Insel gefunden habe:
‘To whomever the wielder of Kißen’s Talis will be granted drei invocations acknowledged by the master of curses with the expense of Beoneu.‘“

Er fährt fort: „Er ist also nicht nur in der Sprache jener Insel verfasst, sondern enthält auch Deutsch mit dem Wort ‘drei’ und ‘Kißen’ – was auch immer das bedeuten mag. Und dann ist da noch dieses ‘Beoneu’. Hast du eine Idee?“
„Beoneu… ist das nicht der Name eines Fluchs selbst?“, antwortet Veratis. „Das würde Sinn ergeben, denn zuvor steht, der Meister der Flüche erteile drei Beschwörungen. Ich kenne keine Details, aber er soll nicht gefährlich sein. Doch wenn er Beschwörungen entgegennimmt, könnte es ein sehr gefährliches Artefakt sein.“
„Richtig. Selbst wenn es nur ein kleiner Fluch ist, der nicht mehr bewirkt, als etwas Unglück zu bringen – sollte es jemand finden und für eigene Zwecke missbrauchen, muss es verborgen werden.“
„Bei dir wundert es mich, dass du es nicht selbst nutzen würdest, um dein Projekt Phoenix voranzubringen, und es dann versteckst.“
„Das werde ich – aber niemand sonst muss es erfahren, richtig? Wenn du nichts verrätst, erfülle ich dir deinen Wunsch.“
„Nein danke, ich mische mich nicht gern in mein Schicksal ein. Aber mal ehrlich: Was könntest du dir für Projekt Phoenix überhaupt wünschen, das nicht einfach alles für dich erledigt?“
„Darüber habe ich nachgedacht, während wir sprachen. Du wirst es schon sehen.“

Mit diesen Worten wendet Ketsuta den Talisman um und liest die Instruktionen auf der Rückseite:
„Nimm diesen Talisman und verbrenne ihn in einer Flamme bei 2243 K, während er in Säure bei 0,0002 K getaucht wird, und zwar exakt 3000 Sekunden lang. Wenn du zu spät fertig wirst, explodiert er in einer Feuersbrunst; wenn du zu früh stoppst, zerspringt er in Scherben aus geschmolzenem Eis.“

„Dann mal los.“
In den folgenden fünfzehn Minuten richten sie alle Geräte her, während Kollegen ein- und ausgehen.
„Braucht ihr Unterstützung bei eurem Experiment?“ fragt ein vorbeigehender Forscher.
„Im Moment nicht, danke. Wir melden uns, falls wir Hilfe brauchen,“ erwidert Ketsuta.
Weitere zwanzig Minuten vergehen, in denen sie den Aufbau abschließen und alles testen. Kurz bevor sie beginnen, kehrt der Vorarbeiter zurück, um sich nach dem Fortschritt zu erkundigen:
„Wie läuft es mit eurer Aufgabe? Habt ihr neue Erkenntnisse über Herkunft, Material oder Sinn des Talismans?“
„Wir wissen noch nicht, woraus er besteht, aber er enthält Anweisungen, die wir gleich testen wollen. Könntest du uns bis zum Start allein lassen? Wir arbeiten mit extremen Temperaturen und möchten niemanden im Raum haben.“
„Gut, ich bleibe so lange draußen und schaue dann zu, was passiert.“
Der Vorarbeiter verlässt den Raum, und Veratis stellt einen Timer auf fünfzig Minuten ein.

Nach etwa 48 Minuten betreten Ketsuta und Veratis den Raum erneut, um den Talisman herauszunehmen. Der Vorarbeiter will folgen, doch Veratis eilt zur Tür, redet mit ihm und schließt ab, gerade in dem Moment, als der Timer klingelt. Ketsuta stoppt den Versuch, holt den Talisman aus der nun sterbenden Flamme und dem Frost. Als er die Augen öffnet, sieht er statt des Labors ein endloses Meer der Leere. Eine Stimme ertönt:
„Glückwunsch, furchtloser Suchender, dass du das Risiko beinahe sicheren Todes eingingst und den Fluch Beoneu annahmst. Dafür werden dir deine größten Sehnsüchte erfüllt. Ich weiß bereits, dass du den Phoenix willst, doch selbst erschaffen möchtest – daher gewähre ich dir das nötige Wissen. Nenne deine weiteren Wünsche!“
„Gott, hm? Dann nehme ich die Macht der Alchemie.“
„Dein Wunsch sei dir gewährt. Du bist nun der einzige Sterbliche mit der Macht, die du Alchemie nennst. Ich kenne bereits deinen dritten Wunsch und werde ihn erfüllen – überlege gut, denn er kann nur einmal verwendet werden und nicht aus Gefühlen heraus.“

Mit dem nächsten Augenaufschlag kehrt Ketsuta ins Labor zurück und liegt auf dem Boden. Veratis beugt sich besorgt über ihn:
„Was ist passiert?“
Ketsuta berichtet von der Begegnung und erklärt, wie der Talisman Wort gehalten hat.
„Was hast du dir denn nun gewünscht?“ fragt Veratis.
„Erster Wunsch: Alle Kenntnisse für Projekt Phoenix offenbaren. Zweiter Wunsch: Alchemie, insbesondere Bio-Alchemie – aus persönlichen Gründen will ich dazu nicht weiter ins Detail gehen. Den dritten Wunsch verrate ich erst später.“
„Und was nun? Du weißt ja jetzt, was für Phoenix nötig ist.“
„Das meiste haben wir schon eingeleitet. Jetzt brauche ich nur noch deine Unterstützung, und alles wird wie geplant verlaufen.“
„Alles unverändert, sobald alles steht?“
„Ja. Wir werden den Phoenix erschaffen, dieses Labor und alle darin zerstören. Er wird uns zu den verlorenen Inseln leiten, und was dann geschieht, steht in den Sternen. Aber keine Sorge: Die Pläne haben sich nicht geändert.“

Der Vorarbeiter kommt zurück:
„Und, wie lief das Experiment? Neue Erkenntnisse?“
„Es scheint, als sei alles nur Täuschung. Der Talisman hat keinen Effekt, ist aber nach allem, was wir ihm zugemutet haben, unversehrt. Woraus er wirklich besteht, wissen wir nicht.“
„Hast ja fast mitten in der Nacht. Ich schließe bald das Labor, ihr könnt morgen weitermachen oder den Talisman abgeben. Auf Wiedersehen.“

Drei Monate vergehen ohne besondere Vorkommnisse, bis Ketsuta eine Vision hat. Wieder hört er die Stimme der Gottheit: „Nimm die Materialien aus der Insellagerung; dort findest du, was du brauchst.“ Ketsuta geht zum Lagerraum, holt instinktiv genau die Gegenstände heraus und kehrt zum Labor zurück. Vor der Tür hört er die vertraute Stimme:
„Deine Assistentin ist unterwegs. Niemand wird dich stören. Aber das wird niemandem schaden, keine Sorge.“
„Wenn du mir versprichst, dass niemand zu Schaden kommt, ist es mir recht.“
„Egal – du pflegst keine Freundschaften hier. Lass es geschehen.“

Im Labor mit dem Feigenblatt-Emblem weist Ketsuta Veratis an:
„Schieb den Tisch in die Raummitte. Leg alle Materialien darauf. Ich sorge dafür, dass die Geräte laufen.“
Als Veratis alles arrangiert hat, wendet Ketsuta seine neue alchemistische Macht an. Ein Flammensäule schießt empor, verschwindet aber schnell und hinterlässt flackernde Feuerfetzen in der Luft. Die Temperatur steigt, und Ketsuta erleidet leichte Verbrennungen. Für Veratis ist das nichts Neues, obwohl sie ihre Überraschung gut verbergen kann.

Das Feuer breitet sich aus, bald stehen die Wände in Flammen, die Ketsuta immer wieder kurz umhüllen, ohne ihm zu schaden – bis die Flammen schließlich Veratis eng ein. Sie schreit, während die Flammen sie verschlingen und töten. Dann Stille. Die Flammen vereinen sich mit Ketsuta, der zum Phoenix wird. Er denkt: „Welchen Nutzen hat diese Macht, wenn die Einzige, mit der ich sie teilen wollte, nicht mehr da ist?“
„Du wirst Vergeltung üben“, flüstert er.

Die Gottheit spricht erneut:
„Du hast die Macht erhalten, die du suchtest. Was fühlst du nach der erforderlichen Opferung? Teste deine Kräfte! Doch egal, ob du es tust oder nicht: Der Preis ist der Fluch Beoneu, in drei Stufen, entsprechend der Schwere deiner Wünsche. So sei es.“

Ketsuta spürt ein Kribbeln am Handgelenk und sieht zwei Linien, die eine dritte durchkreuzen – die Anzeige seiner Beoneu-Stufe.
„Warum nicht, ich teste sie gleich.“ Er streckt den Arm aus, und eine noch heißere Flammensäule durchbrennt die Wand zum Nachbarlabor, das glücklicherweise leer ist. Beim Verlassen sagt er:
„So bringe ich Vergeltung.“

Fünfzehn Minuten später steht das gesamte Gelände von Pneuma Labs in Flammen, mit allen Forschern im Inneren. Die Feuersbrünste bleiben auf die Wände beschränkt.
Aus der Ferne hört man Ketsutas Stimme:
„Das ist MEINE… VERGELTUNG!“

Eine riesige Feuersphäre durchdringt das Hauptgebäude und explodiert, lässt alles in Trümmern zurück. Nur Veratis’ verkohlte Gestalt bleibt kurz sichtbar – bis sie im nächsten Moment verschwindet, und nur tanzende Flammen eine Stelle markierten. Aus den Trümmern regt sich schließlich ein Stein, eine Hand bricht hervor, gefolgt von einem Körper, der ungerührt in den sturmgepeitschten Himmel starrt.

bottom of page